Montag, 21. Dezember 2015

Das Reisen geht weiter - Neuseeland, bald Wien

Die Wärme des Nordens tut gut. Nachdem wir in Paihia angekommen sind, bewegen wir uns nicht mehr. Nur den kurzen Spaziergang zu den Treaty Grounds unternehmen wir. Dort haben Briten und Maori 1840 den Vertrag von Waitangi unterzeichnet - die erste Verfassung Neuseelands. Ob Übersetzungsfehler bewusst eingesetzt wurden oder unbewusst entstanden sind, läßt sich heute kaum mehr klären. Jedenfalls hatten sie zahlreiche Mißverständnisse, Spannungen und Auseinandersetzungen zur Folge. Dennoch ist dieser Vertrag bis heute Grundlage für ein mittlerweile wertschätzendes Zusammenleben in einem neuen, gemeinsamen Staat.


Uns gibt Waitangi ein paar Tage Ruhe nach einer langen Reise. Und ein breites Bett - eine Wohltat nach einem Monat im Campervan! Knapp 9.000 Kilometer im Auto liegen hinter uns. Mehr als 1.000 legten wir auf dem Wasser zurück, 32.000 waren wir in der Luft. Gut 20.000 Flugkilometer Heimweg haben wir noch vor uns. Oft geht uns dieser Tage der Gedanke an ein Resümee durch den Kopf. Aber wir sehen immer wieder die Gefahr einer bloßen Aufzählung, die so belanglos ist wie das Inhaltsverzeichnis eines Reiseführers. Was bleibt von einer Reise? Erlebnisse? Bilder? Gerüche? Ablenkung? Nachdenklichkeit?


Das Reisen führt in ein bemerkenswertes Gefühl von Zeitlosigkeit. Wann sind wir zu Hause aufgebrochen? Ist das schon lange her? Oder erst zwei Wochen? Wann waren wir auf Fiji, wann in Sydney und Melbourne? Haben wir die Yasawas vergangenes Jahr besucht - auf einer ganz anderen Reise? Dabei kennen wir die Zeitabstände genau. Wir sind 79 Tage unterwegs, einen Tag weniger als Jule Vernes Mr. Fogg. Doch die Zeit hat kein fühlbares Maß. Sie ist erinnerbar in Erlebnissen, in Farben und Gerüchen, in den kühlen Winden am Meer und in den ersten Sonnenstrahlen an einem frühen Morgen in den Bergen - nicht aber in Abständen. Zeitabstände tragen keine Erinnerung.


Vertrautes und Fremdes verschwimmen ebenso wie die Zeit. Jeder Ort kann Heimat sein. Aber jeder Ort bleibt auch fremd und rätselhaft - auch die Stadt, in der wir leben. Auf Reisen spürt man das stärker als sonst, und es verändert die eigene Haltung - zum Fremden, zur Heimat, zum Leben. Auch wenn zu Hause jeder Stein auf dem anderen geblieben ist (trotz der Wahl nach unserer Abreise), wird Wien für uns anders sein. Wien ist Heimat, aber auch fremd. Und wenn das Unterwegssein eine Lebenshaltung ist, dann reist man nicht nur nach Hause, dann reist man auch zu Hause - durch bekannte und rätselhafte Gassen. - Morgen geht unser Flug - zurück nach Europa, zurück nach Wien. Eine Reise endet. Die Heimreise beginnt. Das Reisen geht weiter.








Freitag, 18. Dezember 2015

Sind wir in Auckland? - Neuseeland

Die letzte Stadt auf unserer Reise: Tamaki-makaurau. Die Maori nannten sie so - "Kampf der hundert Liebenden". Sie liebten nicht einander, sondern jenen Ort im Norden Neuseelands, der so schön war, dass verschiedene Stämme erbittert darum kämpften, hier leben zu können. Die Engländer sahen das nüchterner und nannten die Siedlung später nach George Eden, dem Earl of Auckland. Ja, wir sind tatsächlich in Auckland. Genau genommen hoch über der Stadt - im 60. Stock des Sky Tower. Kurz fragen wir uns, wie etwas, das nur aus einem Betonpfeiler besteht, Stockwerke haben kann. Aber Gedanken dieser Art führen zu nichts. Wir lassen die Frage am Boden liegen und genießen den Ausblick: die Buchten, den weiten natürlichen Hafen, die Harbour Bridge. Könnte das nicht Sydney sein?

Nein, das ist nicht Sydney. Und es könnte auch nicht Sydney sein. Aber diese kurze Irritation beim Hinunterschauen gibt den Gedanken eine eigentümliche Richtung. Werden die großen Städte in einer globalisierten Welt einander immer ähnlicher? Werden sie austauschbar? Zumindest für einen Reisenden, der seine Hand liebevoll über ihre Oberflächen gleiten läßt? Er sieht überall dieselben Marken in den Auslagen, die gleichen schicken Restaurants - asiatische und italienische, spanische, türkische, libanesische und viele mehr. Er sieht die Glastürme der Banken an den besten Adressen und die Fassaden jener Beratungsfirmen, die erfolgreiche Unternehmen ebenso beraten wie untergehende. Er trifft auf Straßenmusiker und hektische Gefälligkeiten. Er geht an gestrandeter Lebendigkeit vorbei, an ausgefallenen Cafes und leidlich verborgenen Obdachlosen. Er weiß nicht wirklich, wo er gerade ist.

Wir sind in Auckland. Nirgendwo sonst. Aber wir wissen das nur von den Schildern, an denen wir vorbeigegangen sind. Der Lift holt uns auf den Boden zurück. Wir gehen zum Hafen hinunter. Das Regattaboot, mit dem das Team New Zealand am America's Cup teilnimmt, liegt dort. Auch darauf ist Auckland stolz. Wir sehen Yachten und Fischerboote, Hafenkräne und einen Eissalon, der im vergangenen Jahr einen Preis gewonnen hat. Daneben werden Kirschen verkauft, und wir wissen, dass wir uns davor hüten müssen zu glauben, dass man eine Stadt kennenlernt, indem man in ihr spazieren geht. Man muss lange in einer Stadt leben, um ihre Schwingungen spüren zu können. Man muss sein Herz an sie hängen, um sie kennenzulernen. Kennen wir die Stadt, in der wir leben? Ist sie eine Reise wert? Eine Heimreise?








Dienstag, 15. Dezember 2015

Hundert Meter Radio - Neuseeland

Am Morgen lässt der Wind nach, und er lässt bleigraue Wolken über Wellington liegen. Wir brechen auf. Der Tag lichtet sich langsam, während wir den Hafen entlangfahren. Regen, Sonne und Wein begleiten uns Richtung Norden. Genau genommen: Riesling, Merlot und Chardonnay. Manchmal wärmt die Sonne. Immer kühlt der Wind. An einem Morgen in Napier treffe ich unseren Nachbarn aus dem Wohnwagen beim Zähneputzen. Von der regnerischen Westküste sei er, erzählt er. Aber seine Urlaube verbringe er immer hier im Osten, weil es da eben viel wärmer und sonniger sei. Wir schauen beide durch die Oberlichte in den Nieselregen hinaus. Es hat 12 Grad. Und ich kann keine Ironie in seinem Tonfall erkennen.


Weiter Richtung Norden. In Gisborne entscheiden wir uns für den Pacific Coast Highway, rund um das ganze East Cape. Der "Lonely Planet" verspricht eine einsame Gegend. Der Highway hält Wort. Kaum ein Haus. Geschäfte sind verwaist, Cafes geschlossen. Nur Wald und tiefe Buchten. In Tolaga Bay stoßen wir plötzlich auf ein offenes Cafe - und eine Bäckerei. 700 Menschen leben hier. Und sie betreiben einen eigenen Radiosender. Wir stellen uns mit dem Wohnmobil vor das Sendegebäude, betrachten die alten Radios in der Auslage und empfangen tatsächlich UAWA FM - dank einer kleinen Antenne gleich gegenüber. Das Programm kann in einem Radius von gut 100 Metern empfangen werden. Das genügt, um alle Bewohner mit Country Music, Dorfnachrichten und den neuesten Angeboten der Bäckerei zu versorgen. Wir fahren weiter. Nach dem Ortsschild reißt der Empfang ab. Das Sendermotto "Keeping it Coastie, Keeping it Real!" bleibt rätselhaft.


Die Kirche 100 Kilometer weiter in Tikitiki sei einzigartig, heißt es. Tatsächlich, es handelt sich um eine christliche Maori-Kirche mit wundervollen Schnitzereien. Mag sein, dass das einzigartig ist. Wir finden die Kirche einfach freundlich. Nicht nur weil schmutzige Schuhe draußen bleiben müssen - für ramponierte Seelen gibt es keine entsprechende Anweisung -, sondern weil es für jeden Besucher einen bunten Sitzpolster gibt. Und das ist eine wahrhaft menschenfreundliche Geste - weitaus freundlicher als jene kalten und harten Pritschen, auf denen wir bei Mitternachtsmetten unsere Kinderärsche abgefroren haben. - Es war ein langer Tag. Wir erreichen Opotiki. Die Managerin des Campingplatzes erwartet uns an der Einfahrt. Der Wind ist kühl. Es fröstelt uns. Dann der gewohnte Gesprächsbeginn: "How are you?" "I'm good and you?" "Oh my god, it's a hot day, but I'm good." Wieder entdecken wir keine Ironie im Tonfall. Aber langsam lernen wir, wie kühl in Neuseeland ein heißer Tag sein darf.

















Samstag, 12. Dezember 2015

Wind im Kopf - Neuseeland

Die Wellen sind lang und unerwartet tief zwischen der Süd- und der Nordinsel. Das mächtige Fährschiff schwankt spürbar. Und sichtbar wird einigen übel. Auf den Toiletten auch hörbar. Dann treibt uns der Wind in den Hafen von Wellington hinein. Die Stadt ist in den Schatten der Abendsonne gehüllt. Anderntags streifen wir durch die Straßen. Wir wünschen uns, es würde Handläufe an den Häuserwänden geben, damit wir uns festhalten können - so stark wehen die Windböen durch die Stadt. Wir ziehen unsere Windjacken bis über das Kinn zu und frösteln. Frauen tragen leichte Sommerkleider und lachen in den Straßencafes.

Unten am Hafen steht das "Te Papa Tongarewa", das gewaltige Nationalmuseum Neuseelands. Der Maori-Name heißt übersetzt "Ort der Schätze". Und diese werden auf sechs Etagen gezeigt - anziehend, lebendig, ohne Augen und Kopf zu überladen. Ein ganzes Stockwerk ist dem Einfluss des Menschen auf die Naturlandschaft Neuseelands gewidmet. Wie massiv und rasch sich dieser zeigt, kann man in Neuseeland besonders eindrucksvoll sehen. Bis vor 1.000 Jahren war dieses Land vollkommen isoliert und unberührt. Die Maori hinterließen die ersten nachhaltigen Spuren, und mit der Ankunft der europäischen Siedler vor gut 200 Jahren wurden diese Spuren tiefer. In nur einem Jahrtausend menschlicher Siedlungs-Geschichte verlor Neuseeland den Großteil seiner ursprünglichen Natur.

Die Ausstellung beschönigt nicht, sie klagt aber auch nicht an. Denn die Siedler mussten - um überleben zu können - das Land in ihrem Sinn kultivieren, die Maori ebenso wie die Europäer. Es wurde gerodet und gejagt. Fremde Tiere wurden ins Land gebracht und nicht heimische Pflanzen angebaut. Das bis dahin unberührte Neuseeland verschwand. War es das gute Recht der Siedler? Vielleicht sogar eine Notwendigkeit? Oder hatten sie jedes Augenmaß verloren - aus Rücksichtslosigkeit und Gier? Haben sie das Land zerstört? Oder haben sie es nur verändert? Ist nicht jede Veränderung auch zerstörerisch? Und wieviel ursprüngliches Europa steckt noch in Europa?

Dem Reisenden bläst der Wind in Wellington unerbittlich durch den Kopf. Hat er am Ende mehr Fragen als Antworten?





Mittwoch, 9. Dezember 2015

Mit dem Briefträger durch die Marlborough Sounds - Neuseeland

Jim bringt noch schnell den Rollator an Bord, ehe er den Dieselmotor startet. Eine ältere Frau draußen in den Sounds wartet schon dringend darauf. Jim ist Schotte, und er ist Skipper des Postbootes. Dreimal die Woche fährt er von Havelock aus verschiedene Routen durch die Marlborough Sounds. Er bringt die Post und versorgt die Leute mit dem Nötigsten: Lebensmittel, Schulbücher für den Heimunterricht, Spielsachen, Kleidungsstücke, Ersatzteile. Früher hatten sie auch Schafe und Hühner dabei, erzählt Jim. Aber das kommt kaum noch vor, denn heute gibt es fast keine Farmer mehr in den Sounds.

Menschen haben immer schon in diesen unzugänglichen Buchten gelebt. Bis 1918 fuhr ein staatliches Dampfschiff durch die Sounds. Kleine Ruderboote wurden da und dort zu Wasser gelassen und brachten die Post an Land. Danach wurde das Postboot verkleinert und privatisiert. Seither dürfen auch Touristen mitfahren - zwischen Postsäcken und Paketen, manchmal zwischen Schafen und Hühnern. Heute leben 44 Familien dort - ungefähr 100 Menschen. Sie leben ohne Straßen und ohne Strom, ohne Fernsehen, Internet und Handyempfang. Manche betreiben Muschelzuchten, andere vermieten ein, zwei Zimmer an Urlauber, einige sind in Pension und ein paar sind Künstler. Zu kaufen gibt es hier nichts. Alles, was zum Leben gebraucht wird, muss selbst hergestellt, angebaut oder vom Postboot mitgebracht werden.

An den meisten Anlegestellen machen wir gar nicht fest. Jim geht längsseits und läßt das Boot knapp vor dem Steg treiben: Postsäcke werden ausgetauscht, Pakete überreicht und jedes Mal kommt auch Jim aufs Vorschiff, um kurz zu plaudern. Dann setzt er zurück und fährt weiter. In einer Woche sehen sie sich wieder. Kurz nach Mittag halten wir bei Ed Abdool. Er ist nach dem Erdbeben aus Christchurch geflohen, hatte schon lange die Nase voll von Städten und zog mit Bill, seinem Hund, hierher. Bill ist jeden Dienstag als erster am Steg und wartet auf das Postboot - lange bevor es anlegt. Er vermisst Menschen offenbar mehr als Ed.

Der Himmel trübt sich ein, als wir am Abend zurückfahren und die kleine Marina von Havelock ansteuern. Havelock wurde von einem Schotten gegründet, erzählt Jim. Das war um 1860, und es gab nur drei Häuser hier. Im Goldrausch wuchs die Siedlung beträchtlich. Vor allem Hotels und Pubs schossen aus dem Boden. Heute leben knapp 500 Menschen in Havelock. Goldrausch gibt es keinen mehr, nur noch Muscheln. Und für die ist Havelock berühmt. Die schimmernden Grünschalmuscheln werden weltweit exportiert. Jim empfiehlt uns "The Mussel Pot" für den Abend, ein Restaurant in der Nähe des Hafens. Wir haben Jim den ganzen Tag vertraut, und wir vertrauen ihm auch jetzt. Zu Recht.